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Ein Sonntag im Mai
von Leonmicha >>
© Leonhard Michael Seidl (2008)
Ein Sonntag im Mai
Hätte ich den Weg über die geborstene Eiche genommen, wäre alles anders gekommen.
So aber lief ich durch den Wald, eine Strecke, die ich oft laufe, mindestens dreimal die Woche. Es ist mein Fitness-Parcour. Hinter dem Haus über einen steinigen Feldweg hinüber zur großen, baumumsäumten Wiese, dann weiter an den verwitterten Sträuchern und Büschen vorbei, hinein in den Wald, der mir mit seinen verzweigten Wegen und den ausgedehnten Biotopen mindestens für zwei Stunden entsprechende Laufzeit bietet - oder eben nach rechts zur geborstenen Eiche.
Aber ich will die Geschichte von Anfang an aufschreiben. Viel Zeit habe ich nicht mehr, also muß ich mich beeilen. Was ich an Einzelheiten dabei vergesse oder übersehe, mag sich der Leser selbst zusammenreimen; es findet sich genügend darüber in den Zeitungen.
Ein weiterer Grund, warum ich meine Geschichte aufschreibe: um die Wahrheit zu erzählen und sie nicht den Journalisten, den Kritikern, den Besserwissern und den Berufsbetroffenen zu überlassen, die aus jeder Mücke einen Elefanten machen. Sie dichten gern - ohne wirkliche Dichter zu sein. Kommen wir also zur Sache, zu meiner Sache.
An jenem Tag, einem herrlichen Sonntag im Mai, schien morgens bereits die Sonne. Ich zog mein atmungsaktives, rotes Laufdress über, schnallte den Daypack-Rucksack mit dem Bio-Energy-Drink, den Bio-Müsliriegeln und dem Handy auf den Rücken, setzte das Cap der New York Tigers aufs schüttere Haupt und schnürte meine Laufschuhe.
Gegen neun Uhr fünf undvierzig verließ ich, unrasiert und etwas schwitzend, meine Wohnung, um eine große Runde zu drehen. Ich fühlte meinen Puls, er war in |
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