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Der Doppelgänger: das eigene frühere Selbst, fremd geworden, aber nicht gänzlich verschwunden. Von den Strudeln der Geschichte in Abgründe gestoßen, hat es den Fluss der Erinnerung unterbrochen. Das Ich begegnet diesem Gespaltenen, nimmt es auf – oder stößt es ab. Da beginnt das Gedächtnis seine Arbeit: Es formt um, verschiebt, assimiliert. Es sorgt dafür, dass Erinnerungen Filter passieren, dass sie abgleiten wie das Wasser im Strudel, um andernorts in neue Gewässer umgeleitet zu werden. Dabei ändern sie ihren Sog, ihren Sauerstoffgehalt, ihre Farben, ihr Licht – gereinigt von schädlichen Partikeln. Das Fließen gleicht dem Prozess, den man „Plastizität der Vergangenheit“ nennt.
Psychoanalytisch betrachtet schützt das Vergessen vor der Überflutung durch das Gewesene. Freud beschreibt es als Umarbeiten, Überblenden, Verdecken. Schmerzhaftes wird verwandelt, ersetzt oder entstellt. Vergessen ist kein Gegenspieler des Erinnerns, sondern Teil seiner Arbeit: Dauerspuren werden in Erinnerungsbilder umgearbeitet. Erinnern und Vergessen – ein breiter Strom, der sich in verschiedene Richtungen verzweigt.
Sigrid Weigel resümiert in Vom Nutzen des Vergessens: „Wollte man nicht einem ideologischen oder moralischen Vergessensgebot das Wort reden, so müsste man – mit Freud – von einer Dialektik von Erinnern und Vergessen reden.“ Kein Gegeneinander, sondern ein Ineinander: ein Gedächtnis, das sich selbst ständig umschreibt, umlagert, umformt. |
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