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Kurzgeschichten > Märchen

Das Radio-Interview

von Georg Ettlin >>

Ich hatte immer Unglück im Leben,
eigentlich heute noch.
Als ich in der ersten Schulklasse einen Regenwurm
vom einen Ohr direkt und horizontal zum andern Ohr zog
kroch mir eine Fliege
zum einen Nasenloch hinein, beim andern wieder raus,
was Biologen heute als seltsam bezeichnen würden.
Doch im Rechnen und Aufsatz war ich ab dritten Primarklasse recht gut. Die Mitschüler fanden mich interesssant,
wichen mir aber meistens aus.
Elten hatte ich keine, denn sie wollten mich
nicht kennenlernen, lobten mich aber,
wenn die Behörde nach mir fragte.
Die Mutter wusste aber nie, wo ich war.
Bei meiner Berufslehre an einem Beerdigugnsinstitut
durfte ich nie auf den Friedhöfen erscheinen, ich war
dem Arbeitgeber zu bleich.
Geärgert habe ich mich oft, wenn ich im Büro ein Ohr verlor
und man mich bat, es vom Bürotisch wegzunehmen.
Wenn mir Finger fehlten, musste man mich erinnern,
und man bat mich höflich, diese zu suchen.
Bei der Beerdigung meine Eltern flohen die
Verwandten, als ich am Grab erschien, irgendwie
gab es da bei denen eine fantasievolle Gedankenbrücke
zu Drakulageschichten aus dem Fernsehen
und meinem charaktervollen Erscheinungsbild.
Nur ein blindes, zartes, bleiches Mädchen blieb noch da:
Ich küsste es
mit kaltem Kuss : Ich war der erste Mann, der sie wohl küsste.

In der katholischen Welt der 60-er-Jahre,
musste man nach einem Kuss heiraten, da sonst der Teufel
die katholische Seele in die katholische Hölle holte.
Wir leben noch heute kirchlich verheiratet im Finstern
und stiller Eintracht zusammen, wahrscheinlich aus Mangel an
Vergleichsmöglichkeiten meiner eigentlich recht kühlen Frau.

Kinder haben wir keine.


***

c/G.E.

5. Januar 2013
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