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Natürlich war nicht immer alles einfach mit ihm, vor allem in den letzten Wochen. Er war immerzu müde und sie hatte sich gewünscht, dass er wieder Kind sein konnte. Dass er wieder lachen und sich mit Freunden vergnügen konnte und ja, sie hatte sich gewünscht, dass er sie wieder zur Weissglut trieb mit seinen Flausen im Kopf – doch sein Körper war zu schwach, um mit dem Leben mitzuhalten. Sie hatte die Anzeichen zunächst nicht wahrgenommen, dachte, es sei eine Herbstgrippe. Erst als er drastisch an Gewicht verlor, brachten sie ihn zum Arzt.
Die Diagnose war erschreckend und die darauffolgende Zeit ein Wettlauf, den man nicht gewinnen konnte. Sie wusste, dass sie irgendwann Abschied nehmen musste. Doch sie war noch nicht bereit dafür. Sie hätte ihm noch so viel zeigen, so viel Lebensfreude geben wollen. Sie war nicht bereit, loszulassen. Doch man fragte sie nicht. Er wurde aus ihren Armen gerissen, so schmerzhaft, wie sie es nie für möglich gehalten hatte. Sie wusste: nie mehr würde sie seine kleinen Finger in ihrem Haar spüren. Nie mehr würde sie ihn in ihre Arme nehmen können.
Sie zupfte ihren dicken Schal zurecht, blickte über das Wasser und war wütend, dass sich die Welt von einer so wunderbar zuckersüssen Seite zeigen konnte.
Sie hatte gerade ihren Sohn verloren. Er war ihr im Alter von sieben Jahren weggenommen worden. Von einer Bestie namens Krebs.
29. Dezember 2014 |
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