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Worte oder Vokabel- und Patronenhülsen
von Marc P Sahli >>
Hey Alex, hier ist Mami. Diese Worte bedeuten für den fünf Monate alten Alex offenbar die Welt. Man sieht es seinem strahlenden Gesichtchen an. Alex war seit Geburt taub und konnte dank einer OP endlich hören. Wenn wir dereinst Rechenschaft über jedes unnütze Wort ablegen müssen, das wir geredet haben, weil wir aufgrund unserer Worte freigesprochen oder verurteilt werden sollen (Matth. 12.36), dann wehe den Schwadronierern und Politikern aller Couleur mit ihren Fakenews. Das Wort wird so zur Vokabel, um sinnlos zu verhallen; wer das Falsche sagt, wird aus der Gemeinschaft der Demokraten exkommuniziert, und man verweigert jede Diskussion. Jedes Argument wird so Beleidigung, Denunziation. (NZZ 18.4.18). Das Wort als Vokabelhülse, Patronenhülse… Schlüsselworte haben im Internet bereits einen berechenbaren Wert, dafür gibt es den Keywordplaner; Klickfänger sind lukrativ. Wortschatz kann offenbar neuerdings kapitalisiert werden auf sogenannten Begriffsbörsen. Nicht mehr lange und es wird konversationsfähige künstliche Intelligenz geben.
Alex‘ Mami wird ihm sicher vorsingen, ihm Gutenachtgeschichten erzählen, denn das Erzählen ist in der menschlichen DNA eingeschrieben. Nur eine erzählte Welt, ein erzähltes Geschehen ist wirklich. Alex wird als Hörender lernen, wie Worte schneiden oder heilen können.
Mir kommt jetzt die Geschichte von Fritz und seiner verstorbenen Frau Erika in den Sinn. Immer habe Fritz jahre- ja jahrzehntelang seiner Erika nach dem Znacht den Kaffee zum Sofa gebracht, wo sie zu liegen pflegte. Jedes Mal sagte sie danke, aber er habe ihr nie, aber gar nie bitte gesagt. |
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