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Die Narbe des Propheten
von moehrle >>
I.
Alle hatten sie über ihn gelacht, nun lachte niemand mehr. Die Menschen knieten vor ihm auf dem regennassen Boden. Er war nun ihr Messias. Der Prophet schwieg, lange genug hatte er ihnen gepredigt. Nun würde Gott für ihn sprechen, während er selbst still auf jener Mauer stand, auf der er immer gestanden hatte.
Der Prophet hielt die Arme ausgebreitet und die Augen geschlossen, wissend, dass die Menschenmasse vor ihm von nun an jedes Wort, das aus seinem Mund tropfte, begierig aufsaugen würde, wie Verdurstende. Er genoss jede Sekunde. Oft, zu oft hatten sie ihn beleidigt, sogar mit Steinen beworfen, weil sie nicht an ihn geglaubt hatten. Weil er, ihrer Meinung nach, das Falsche gesprochen hatte.
Vor der Mauer auf der er stand, hatten seine Jünger ihm Gaben dargereicht. Dinge von denen er früher nur hatte träumen können. Sie interessierten ihn einen Dreck. Es waren nur nutzlose Gegenstände, nichts im Vergleich zu dem Gefühl, das die Menschen ihm entgegenbrachten. Diese Menschen in ihren Geschäftsanzügen, ihrer Markenkleidung, mit ihren Handys und I-Phones. Ihren Armani-Uhren und D&G-Umhängetäschchen. Alle waren sie zu ihm gegekommen, zu dem Mann, der alles vorhergesagt hatte.
Der Prophet wusste, dass es in der Natur des Menschen lag Antworten zu suchen. Lösungen. Er gab ihnen nichts dergleichen. Vielleicht hätte er ihnen eine Antwort auf ihre unausgesprochene Frage geben können, Antworten gab es schließlich immer, aber solange er schwieg, konnte er sich in der Aufmerksamkeit dieser Leute suhlen. Wie ein Schwein in seinem Kot. Doch die Zeit rann. Sie tropfte in dicken, aschehaltigen Regentropfen vom Nachthimmel.
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