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Kurzgeschichten > Wahre Geschichten

Der Tortenabend im "Wiener Café"

von Dieter Raedel >>

Dicke Rauschwaden durchzogen das Café, alle qualmten, als ob eine Meisterschaft angesagt wäre. Kein freier Stuhl war zu finden und keiner verspürte Lust, den Weg nach Hause anzutreten. Philosophische Konversationen, fades Gemurmel, nette Plaudereien und arge Beschimpfungen wechselten einander ab und sorgten für die altbekannte Atmosphäre. Oben hatten sich einige komische Gestalten mit zwei Tischen vereint und würfelten darum, wer die nächste Runde bezahlen durfte. Als ich verlor, machte ich meinen Freunden eine besondere Freude und bestellte für jeden ein Stück Erdbeertorte mit Sahne. Die spontan einsetzende Ruhe hatte zur Folge, dass man am Nachbartisch die gewichtigen Auseinandersetzungen besonders gut verstehen konnte.

Mühle dachte an die Torte und verfärbte sich allmählich zur Kalkwand. Das hatte er noch nie in seinem Kneipendasein erfahren können: Torte.
Sein Weinglas war leer und eine neue Würfelrunde nicht in Aussicht. Oleg kam lachend an unseren Tisch und überreichte die Überraschungsrunde. Mühle begann seine letzten Zigaretten regelrecht zu verschlingen und betrachtete sein Stück Torte wie eine außerirdische Erscheinung. Während die anderen sich das Zeug reinquälten, konnte Mühle damit absolut nichts anfangen. Seit einigen Minuten herrschte eisiges Schweigen, als seien sämtliche Lippen durch die Tortenstückchen lahm gelegt worden. Ich entschloss mich, Mühle aus der Lebensgefahr zu retten und bestellte für ihn seinen Rotwein. Ganz langsam erwachte er wieder zu neuem Leben und begann mit einem Male ganz laut und ergiebig über die anderen zu lachen, da diese sich in der verheerenden Situation befanden, keine Getränke mehr zu haben. Mühle schob mir seinen Teller rüber, ich aß sein Stück Torte und er begann sich mit mir zu verbünden.
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