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Fermentierte Moderne - Miniatur aus dem Pendelverkehr
von Silvia Ittensohn >>
Im Zug nach Zürich klappt eine junge Frau mit blonden Zöpfen laut und entschlossen ihr SBB-Tischchen herunter. Darauf stellt sie eine hohe Metallkanne mit Holzdeckel – eine Miniatur jener alten Milchkrüge, die Buben einst im Kreis schwangen, „Hurra!“ rufend, wenn nichts überlief. Dazu gesellt sich ein kleiner Becher, schwarz, mit weißem „YETI“-Schriftzug; das Scheppern beim Aufsetzen verrät: auch Metall.
Sie wirkt nicht unsympathisch, eher gesammelt. Neben ihr ein Rucksack, wohl Arbeitsgepäck. Ihr Gesicht erinnert mich an einen Film über ein bayerisches Dorf, in das die Nazifizierung einbricht – jener harte Kontrast zwischen ländlicher Idylle und kalter Realität.
Als sie den Deckel ihres Bechers öffnet, steigt ein säuerlicher Geruch auf: ein Birchermüesli, wohl am Vorabend zubereitet. Banane und Milch haben ein Gärstadium erreicht, dessen Duft sich unerbittlich im Abteil verbreitet. Dazu das rhythmische Klack-Klack ihres Metalllöffels. Dann folgt die Wärme – Kaffee oder Tee aus dem milchkannenartigen Krug, vermutlich ebenfalls aus dem Hause Yeti. Modern Design follows rustikale Anwendung. Später wird mich die Website belehren: „18/8 stainless steel, non-reactive, leak-proof.“ Edelstahl und Kunststoff treffen Holz.
„Nächster Halt Oerlikon“, ruft die Ansage. Sie klappt ihr dickes Buch zu, eingebunden in einen bunten Stoff voller Rosen – plopp! Die digitalen Termine sind offenbar ins analoge Notizbuch übertragen. Oerlikon also, nicht Zürich. Ich denke kurz an „Usfahrt Oerlike“, den Film über Sterbehilfe mit Jörg Schneider und Mathias Gnädinger – einer starb während, der andere kurz nach den Dreharbeiten. Ein ungewöhnlicher Ausstieg. |
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