Kurzgeschichten > Alltag |
 |
|
Via Mala – zwischen Theke und Sehnsucht
von Silvia Ittensohn >>
Sie dreht ihr Serviertablett wie in einer Zirkusmanege, tänzelt, trippelt, in ihren Augen glitzert Freundlichkeit. Aus ihrem Mund die sanfte Aufforderung an den Vierertisch, erst die Karte zu studieren; sie komme gleich wieder.
Elegant, geräuschlos kurvt sie um volle Tische, vorbei an ungeduldigen Tablettragenden. Lastenträger hinterlassen ein halbleeres Buffet, stauen vor sich ein Meer Bedürftiger zu geschäftigen Wellen hoch – eine Schneise bildend, wie sie in diesem Dorf als "Naturparadies zu einer berühmten Schlucht" führt. Einst ein abenteuerlicher Weg, heute eine motorisierte Angelegenheit oder eine Frage professioneller Wanderausrüstung. Der Kellnerin genügt ein kurzer, stoischer Blick auf die Uhr, dann auf die Theke – die nächste Bestellung wartet. Ihre Konzentration und Ruhe lassen den Ansatz eines Lächelns zu. Nur ihre Rundlichkeit stemmt sich gegen die Brandung.
Am Vierertisch wird noch immer in der Frühstückskarte geblättert. Früh und Stück: einst genügte in der Frühe ein Stück Brot. Heute wägt ein Doppelpaar in gmögigem Bärndüütsch ab, verwirft, kommt wieder auf den ersten Vorschlag zurück. Die Bündner Serviertochter – das unschöne Wort hält sich beharrlich, obwohl Fräuleins, Töchter nicht nur subaltern klingen – sie gibt behutsam Ratschläge, sicherheitshalber auf Hochdeutsch. Gerade oder obwohl man hier oben, an der Schneise der Via Mala, dem einst gefährlichen Pfad nach Italien, längst mit drei Zungen spricht: Schweizerdeutsch, Rätoromanisch und Italienisch. |
 |
|
Seite
von 2 |
|
 |
Kommentare (0) |
|