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Ganz nah und doch so fern
von Marc P Sahli >>
Heimat für die einen, Fluchtpunkt für die anderen
Eine Freundin von mir sagt: Heimat ist Tradition. Auch an bestimmten Tagen genau ein bestimmtes Kleid zu tragen, was sie zwischendurch pflegt.
Ganz anders in der Siedlung Rosenacker, sicher auf ihre Art eine Heimat für gewisse Menschen. In Schweizer Einfamilienhausquartieren herrscht oberflächlicher Frieden und Ordnung. Nicht etwa irgendeine, sondern die Sorte Ordnung, bei der selbst der Rasenroboter weiss, wo seine Welt aufhört. Zentimetergenau dreht er an der Grundstücksgrenze ab, als würde er innerlich salutieren: „Bis hierhin ist meine Heimat. Und keinen Millimeter weiter.“ Ordnung ist hier kein Zustand – sie ist Religion.
Heimat ist da, wo der Morgen nach Frische riecht, nach Waschmittel, Chlor und frisch geschnittenem Rasen.
Heimat ist da,wo die Gespräche noch kürzer sind als der sauber gestutzte Rasen: «Schöns Wätter!», «Besser als geschter», oder «Ja, muess, gäll», wo die Sträucher in geometrischen Figuren wachsen, meist zentimetergenau nach Bauverordnung, oder wo Hecken so hoch gezogen werden, dass man den Nachbarn nicht sieht, aber durch ein Fernglas trotzdem alles weiss.
Die Menschen im Rosenacker leben nebeneinander. Nicht miteinander, das wäre zu chaotisch. Sie leben akkurat. Parzelle an Parzelle. Hecke an Hecke. Gartenzaun an Gartenzaun. Grenze an Grenze. Das Glück ist parzelliert.
Heimat ist da, wo die Sträucher in die Form einer Halbkugel gestutzt werden, wie sie im Baumarkt-Katalog Seite 7 zu sehen ist.
Heimat ist da, wo der Baum exakt auf 2.40?m wächst, mit Rückschnitt im Spätwinter.
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