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Sie jedoch liebt
von Frederic Weiss >>
Das Dutzend Kindermägen knurrt gewaltig. Und es gibt keine andere Lösung – der Hunger klopft an jede Tür, sobald die Fruchtbarkeit der Frauen die Fruchtbarkeit der Äcker übersteigt. Sie wird fortgeschickt, mit ihren dreizehn Jahren. Weg von zuhause und hinaus in die Welt. Grossstadt, Hochdeutsch, Tafelsilber. Zum ersten Mal trägt sie auch im Sommer Schuhe. Und Strümpfe obendrein. Die Franzosen besetzen die rechtsrheinischen Gebiete, sie flieht aus Frankfurt zu einer Freundin, einer Leidensgenossin aus dem Heimatort, die ebenfalls als Kind aus dem Nest geworfen wird und in München bei entfernten Verwandten untergekommen ist. Sie wächst in die Ersatzfamilie hinein. Sie verdingt sich als Büglerin. Sie hat Glück und findet in einer Welt, in der ein Laib Brot nun ein Vermögen kostet und Arbeitsplätze Mangelware sind, immer wieder eine Anstellung. Trotzdem bleibt sie mittellos und vegetiert, wie viele andere um sie herum, am Existenzminimum dahin. Sie ist so bettelarm, dass sie sich ohne Unterkleidung durchschlagen muss und sich im bitterkalten Winter neunundzwanzig eine Unterleibserkrankung einfängt, von der sie sich zwar allmählich wieder erholt, die aber später als Grund für ihre Kinderlosigkeit genannt wird. Trotzdem liebt sie. Draussen Aufmärsche und Inszenierungen, Reichskristallnacht und Kundgebungen. Sie jedoch liebt.
Sie lernt ihn im Kreis um ihre Freundin kennen, nimmt zuerst kaum Notiz, nimmt ihn nur schemenhaft wahr. Aber dann funkt es zwischen den beiden. Er ist Feinmechaniker und Mitglied im Box-Verein, kann von Siemens eine Firmenpension erwarten und den Flohwalzer auf dem Akkordeon spielen. Hitler. Hochzeit. Frischer Wind. Sie haben endlich mit ihrem |
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