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Kurzgeschichten > Tierisches
(eigentlich unvorstellbar, gerade er, mit seiner struppigen Mähne und dem räudigen Fell!), kannte noch eine Welt ohne Gitterstäbe. Er döste sich im Schatten der Akazien durch die flimmernde Nachmittagshitze, bevor er mit den Frauen seines Rudels zur nächtlichen Jagd aufbrach. Wie mag es wohl sein, wenn man, geborgen in der Großfamilie, von allen Rudelmitgliedern liebkost und beachtet wird? Bei jedem Vorübergehen eine Berührung, eine Erwiderung, ein Kuss. Wie weich sich so ein Bett aus Savannengras wohl anfühlen mag? Einst war mein Vater der Anführer seiner Sippe. Es scheint seine beste Lebensphase gewesen zu sein, eine Ära der Stabilität und der Zufriedenheit, die Anzahl der Familienmitglieder wuchs und alle gediehen prächtig. Bis mein Vater eines Tages die Spuren zweier anderer Löwen fand, die dreist ihre Markierungen neben den seinen hinterließen, ein Zeugnis imperialistischer Absichten, ein frech dahingeworfener Fehdehandschuh, eine offene Kriegserklärung an den Herrscher. Seltsam emotionslos erzählte er von dieser Zeit. Er hegte keinen Groll gegen die ausgehungerten Junglöwen, die wahrscheinlich schon seit längerem auf der Suche nach einem eigenen Rudel die Gegend durchstreiften. Die dauernden Misserfolge und der Drang nach Fortpflanzung und nach dem Besitz eines eigenen Rudels machten sie so verbittern, dass sie sich, ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben, jeder Herausforderung stellten und keinem Scharmützel aus dem Weg gingen. Er verstand sie im Nachhinein sehr gut, obwohl sie natürlich seine Feinde waren und er ihrer Übermacht, ihrer Gewalt, die durch ihre Verzweiflung genährt wurde, nichts hatte entgegensetzen können, schon gar nicht seine Sattheit und Trägheit.
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