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Abdankung eines Unbekannten
von Marc P Sahli >>
Am schwarzen Brett beim Gemeindehaus hängen die kleinen Dinge des Dorfes: Altersnachmittage, Sonntagsmenu im Alterstreff, Gemeindemitteilungen. Zettel über Anlässe, sodass man irgendwo dazugehört, auch wenn man nur hingeht, weil es eben Dienstag oder Sonntagmittag ist.
Und dazwischen diese Anzeige.
Wie eine Todesanzeige in der Zeitung, schlicht, eingerahmt, links ein Kreuz. Name. Geburts- und Todesdatum. Und dieser eine Satz, der mir zuerst wie eine Einladung vorkam, freundlich sogar, und dann erst wie das, was er war: ein Ruf ins Leere.
«Hat jemand Enzo Manser gekannt? Ihr seid herzlich willkommen, an der Abdankung am 7.4. dabei zu sein.»
Ich blieb ein Weilchen stehen. Ich spürte den Kloss im Hals und diese Traurigkeit, die gar nicht recht weiss, wohin mit sich. Es war an einem Feierabend im Frühling, der Nachhauseweg. Normalerweise die Stunde, in der man den Tag abstreift. Und jetzt stand da plötzlich: So einsam kann Sterben sein.
Ein Mann im mittleren Alter, um die vierzig. Jünger als ich. Enzo, noch nie gehört, nie getroffen. Zuhause suchte ich ihn im Internet, fast reflexhaft, als müsste irgendwo doch etwas sein, irgendeine Spur, irgendein Bild, ein Eintrag, ein Satz. Nichts. Google, Facebook, Instagram, Linkedin und Xing. Gar keine Spuren. Er hinterlässt keine Spuren. Verbunden mit dem Gemeindeinserat wirkte es so, dass es nicht mal Verwandte gab.
Ich schrieb den Satz aus der Anzeige gleich auf, als müsste ich ihn festhalten, bevor er sich verflüchtigt wie alles, was niemand sonst aufhebt. Und ich wusste: eine Geschichte hat er verdient.
In den Tagen bis zum 7. April ging mir diese eine Frage nach. |
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