Kurzgeschichten > Wahre Geschichten |
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Ein Monteur aus Deutschland, der seit Jahrzehnten hier lebte, hatte mich vorgewarnt: „Legen Sie jegliche Bilder auf die Seite, die Sie sich von diesem Land machen. Keines wird sich vor Ort bestätigen.“
Nein. Es begann so.
Am dritten Tag schmolz die Nadel meines inneren Kompasses in schwüler Hitze dahin. Mein Kopf surrte im Straßengewirr. Erst eine Spur, dann zwei, dann fünf Fahrbahnen nebeneinander, übereinander. Betongewordene Schlangen. Straßen im Dunst. Smog. Dann das Knattern eines Motorrads. Es näherte sich, wurde lauter. Der Motor brummte nach. Aus dem Helm ein Wortschwall – Töne im Auf- und Abschwung, Zweisilben aneinandergereiht. Ein „nimen zài nar“ vielleicht? Nur seine Geste konnte bestätigen, ob er mich fragte, „Wohin ich gehen wolle“. Sein Finger wies auf den Rücksitz. Ein Angebot.
Ich setzte mich. Kein Kopfschütteln. Nur Schwere, wie ein nasses Frotteetuch auf meinen Schultern. Es legte sich auf meine Verlorenheit, mein wài-Gefühl. Ein Sturzhelm neigte sich zur Adresse in chinesischen Lettern. Dann sausten wir los. Vorbeirasende Autos, Leuchtreklamen, Häuser – ein Rausch wie in Fallen Angels von Wong Kar-Wai: Eine Kamera auf einem Feuerstuhl schweift durch nächtliche Straßenschluchten in Hongkong. Schneller und schneller an Neonlichtern vorbei, bis diese in bunten Streifen fast verschwimmen. Und sich in nassglänzenden Strassen spiegeln. Zerrbilder. |
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