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„Nein. Und so was in diesem Viertel!“ Lillian hielt gespielt erschrocken die Hand vor den Mund. „Ich glaube, Consuela muss Recht haben. Hier muss es sich eindeutig um eine Gang handeln.“
„Mach dich nicht über uns alte Frauen lustig, mein Kind. Wir sind es, die euch den Weg weisen.“ Sie griff in ihre Rocktasche. „Der ist heute für dich gekommen.“ Sie reichte ihrer Enkeltochter ein Kuvert. Lillian erkannte den Stempel einer Universität Chicagos. Sie nahm ihn eilig entgegen und erhob sich. „Ich kann mich draußen besser aufs Lesen konzentrieren. Du drehst den Radio zu laut.“, meinte sie schnell und ging vor die Tür. Ihr Herz schlug wie wild, als sie das Kuvert mit ihrem kleinen Taschenmesser öffnete. Das Papier war einmal zusammengefaltet worden. Sie faltete es eilig auseinander. Den Text las sie nicht, ihre Augen hatten jenen einzig bedeutenden Satz bereits fixiert: Ihr Antrag wurde abgelehnt. Sie kniff die Augen zusammen und atmete tief durch. Keine Universität würde ihr jemals eine Chance geben. Sie würde hier ewig festsitzen und von wechselnden Teilzeitjobs leben. Oder irgendein Typ würde sie schwängern und sie und das Kind dann im Stich lassen, um nach Queens zu gehen. Wie es ihrer Großmutter widerfahren war. Hör auf. Schalt sie sich selbst. Ihre Mutter, möge sie in Frieden ruhen, hatte sie nicht auf diese Weise erzogen.
Rosa Marquez, geborene Vasquez, war eine sehr selbstbewusste Frau gewesen. Sie hatte eine Ausbildung zur Kellnerin gemacht und in einem Cafe in Spanish Harlem zu arbeiten begonnen. Dort hatte sie Jorge Marquez kennen gelernt, welcher die Mechanikerausbildung eben erfolgreich abgeschlossen hatte. Laut Lillians romantischer Mutter war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. |
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