Kurzgeschichten > Alltag |
 |
|
Im gleichen Augenblick, als mich der Glatzkopf fragt, ob ich ein «Milchbubi» sei und ob ich eine «kräftige Abreibung» wünsche «zum Zwecke der literarischen Inspiration», nimmt Shepherd links von mir Platz.
Shepherd, dies ist zu wissen, ist kein Mann, sondern die bildhübsche Präsidentin jener Lesergruppe, der ich an diesem Tag aus dem Einsiedler Zittern vorgelesen hatte. Sie trägt ihr blondes Haar kurz. Stahlblauer Blick, messerscharfe Intelligenz und ihre körperlichen Reize, ach lassen wir das …
Sie sitzt neben mir, schaut mich liebevoll an und sagt: «Gibt’s Ärger, Darling?»
Ich wiege unentschieden den Kopf. «Könnte sein.»
«Wie hat der Arsch dich eben genannt?»
«Milchbubi.»
«Milchbubi?», fragt sie ungläubig.
Ich, abwiegelnd und leise: «Ist okay. Lass mal. Der ist halt besoffen. Vergiss ihn.»
Shepherd taxiert blitzschnell die Gruppe des Glatzköpfigen, dann ihre Lesergruppe, die durchwegs aus gut gebauten Männern besteht. Schliesslich schreit sie mit markerschütternder Stimme: «Jungs, Angriff!»
Augenblicklich werden Bierkrüge sittlich abgestellt, Wirtshausstühle ihrer Beine entledigt und eine herrliche Schlägerei kommt in Gang. Shepherd und ich verlassen flugs das Lokal und verfolgen das Geschehen mit Applaus und anfeuernden Zurufen vom gegenüberliegenden Trottoir aus. Dank der im Nu geborstenen Fensterscheiben sitzen wir sozusagen in der ersten Reihe.
|
 |
zurück |
Seite
von 5 |
|
 |
Kommentare (0) |
|