Kurzgeschichten > Menschen |
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wachsen, dessen Sensibilität und Intelligenz sich gleich einer Zwiebel bloßlegten, nachdem Schicht für Schicht der Fremdheit abgetragen wurde und wir uns langsam einander annäherten. Stellen Sie sich das Blumenmeer in einer Wüste nach dem so lang ersehnten Regen vor. Genauso sah es in mir aus. Und das Erstaunliche dabei war, dass er meine Gefühle zu erwidern schien. Allmählich verbrachten wir so viel Zeit miteinander, wie es die Schule, die übrigens ein Tabu für uns beide war und über die wir nie miteinander sprachen, nur zuließ. Ich hatte mich sozusagen in ihn verliebt. Man kann es ruhig so ausdrücken, denn ich zeigte sämtliche Symptome, die auch frisch verliebte Menschen befallen: die Sehnsucht nach dem Anderen, das Herzklopfen kurz vor dem Rendez-vous, die Aufregung. Manchmal schimpfte ich mich zwar einen alten Esel, aber insgeheim blühte ich auf. Ich wurde kreativ, ich dachte mir Aufmerksamkeiten für meinen neuen Freund aus - mein Leben wurde endlich reich und bekam zusätzlichen Sinn. Es gab diese wunderbaren Augenblicke der Gemeinsamkeit, wenn wir zur Zeit des Vogelzuges in den ersten Morgenstunden auf dem Beobachtungsstand froren und uns gegenseitig auf seltene Durchzügler hinwiesen. Oder die Erfahrung, dass sogar Enttäuschung verbinden kann, wenn wir nach ausgiebiger Pirsch rein gar nichts sahen, was uns erwähnenswert oder wichtig erschien und wir anschliessend still, jeder seine eigene Enttäuschung verarbeitend, nach Hause trotteten. Oftmals saßen wir hier in diesem Zimmer und bestimmten Federn, Eier und Gewölle, ordneten zu, machten uns schlau, stellten Statistiken auf. Seine Eltern hatten übrigens gar nichts dagegen, dass ich Rüdiger unter meine Fittiche nahm. |
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